DREI VORSCHLÄGE FÜR EINE REALE DEMOKRATIE
DIE NEUVERTONUNG DES INFORMATIONSAUSTAUSCHS

BRIAN HOLMES

Seit ihrer Erfindung vor einigen Jahren gelten Peerto- Peer-Musiktauschbörsen als die Schmeißfliegen des Konsumkapitalismus. Sie haben die Luft aus den Profiten der Plattenindustrie abgelassen, in unbegrenzten Mengen Pop in die Teenager-Leben getragen und Internetpuristen, die schon immer verächtlich auf den Traum vom schnellen Geld der New Economy blickten, ironisch die Lippen kräuseln lassen. Bei politisch Denkenden – insbesondere bei einer älteren Generation, die noch immer Gitarrenschwenken als Protestbewegung versteht – konnte diese massive Überschreitung des Urheberrechts den Eindruck erwecken, als läge eine lang erwartete Brise kultureller Revolte in der Luft. Es gab da allerdings ein Problem: Wer wird wohl die Rechnung bezahlen? Wie sollen Künstler (und, wie einige hinzufügten, Plattenfirmen) in einer Welt überleben können, in der Musik frei verfügbar ist? Unlängst wurden einige wenige Lösungen vorgeschlagen: entweder Download-Seiten mit Bezahlung pro Song und zentralisierter Organisation – ein System, das von der Musikindustrie favorisiert wurde; oder eine von Internetnutzern zu zahlende Flatrate. Auf diese Weise könne das Filesharing beibehalten werden, da aus einer Geldquelle Kompensationen an die Copyrightbesitzer fließen würden. Einer der Flatrate-Vorschläge, der an den Bereich Binnenmarkt der Europäischen Kommission geschickt wurde, stellt zur Peer-to-Peer-Technologie folgende These auf: «Die digitale Revolution hat das Potential zu einer semiotischen Demokratie, bei der die Kultur des Re-use und Re-mix einer der vielversprechendsten innovativen Aspekte ist.»1 Also fragen wir: Was genau wird hier versprochen? Und vor allem: Wie wäre das zu verwirklichen? Wie kommt man von einer semiotischen zu einer realen Demokratie?

Zunächst aber ein weiteres Beispiel der digitalen Revolution: der Ruf nach der elektronischen Veröffentlichung von wissenschaftlichen Zeitschriften und Fachpublikationen, wie sie etwa von der Public Library of Science oder der Budapest Open Access Initiative gefordert wird.2 Solche Veröffentlichungsprojekte werden von WissenschaftlerInnen weitgehend unterstützt, da dadurch die Barrieren des Wissensaustauschs aufgehoben werden würden – Barrieren, die durch die explodierenden Kosten für professionell begutachtete Druckerzeugnisse, die mittlerweile selbst für viele Universitäten in der entwickelten Welt sündhaft teuer sind, errichtet wurden. Zusammen mit Richtlinien zur Selbstarchivierung (d.h. elektronische Publikationen ohne fachliche Überprüfung), versprechen diese Initiativen die (Wieder) Herstellung dessen, was einige TheoretikerInnen seit kurzem als Informations-Commons 3 bezeichnen. Dies bedeutet einen nicht unbeträchtlichen Wissenstransfer seitens der reicheren Institutionen an ihre ärmeren Verwandten, und das heißt letztlich vom Norden in den Süden. Sicher, wir reden immer noch von Freiheiten, die sich auf das Reich der Zeichen beschränken. Aber was würde sich aus dem Re-use und Remix von wissenschaftlichen Informationen ergeben? Zunächst einmal vermutlich technologische Entwicklung. Und schon daran wird ersichtlich, dass eine nur semiotische Demokratie überschritten werden muss.

Man nehme den Fall der extrem teuren AIDS-Medikamente. Das nötige Wissen und die Technologie, um diese Medikamente billig zu produzieren, sind bereits weitgehend vorhanden. Aber die Umsetzung wird von Patentschutzverordnungen eingeschränkt, die im globalen Maßstab von der World Intellectual Property Organization und dem TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) der WTO erlassen wurden. Es verstößt also gegen internationale Gesetze, das Leben der Armen mit der Wissenschaft der Reichen zu retten. Nichtsdestotrotz führten die vereinten Kräfte von AIDS-AktivistInnen, NGOs, Gesundheitsministerien in unterentwickelten Ländern und risikobereiten Herstellern wie Cipla in Indien zu einer langsamen Destabilisierung der Patentregime (2001 konnte Cipla ‹Ärzte ohne Grenzen› sein tritherapeutisches Ersatzpräparat zu einem Preis von 340 US-$ pro PatientIn pro Jahr anbieten – im Unterschied zu 10.400 US-$ am oberen Ende der Skala bei handelsüblichen Medikamenten.4 AktivistInnen haben die historische Doha-Erklärung der WTO erwirkt, die Ausnahmen bei den von TRIPS-Provisionen patentgeschützten Produkten im Falle «nationaler Dinglichkeit» zulässt, vor allem bei AIDS-, Malaria- oder Tuberkulose- Epidemien.5 Allerdings wird das Ziel der Deklaration durch eine heimliche Absprache zwischen transnationalen Pharmaindustrien und der aktuellen US-Regierung hintertrieben.6 Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums erschweren es, das Versprechen auf freien Informationsaustausch zu realisieren.

Warum liegen die versteckten Verbindungen zwischen Filesharing (im Alltagsleben), freiem Publizieren (in wissenschaftlichen Disziplinen) und dem Transfer lebensnotwendiger Technologien (in den Nord-Süd-Verbindungen) für die Wenigsten auf der Hand? Oder anders gesagt: Warum wird das Demokratieversprechen des Internet (oder der digitalen Revolution) auf so breiter Ebene ignoriert? Nochmals zurück zum Ausgangspunkt: zu den «Problem»-Lösungen im Bereich des freien Musikaustauschs. Der Autor Rasmus Fleischer hat den ‹Flatrate›- Vorschlag kritisiert; insbesondere die Behauptung, den Inhabern der Urheberrechte würden Kompensationen zukommen, ohne dass dabei irgendeine Form von Kontrolle über die Nutzer ausgeübt werden würde: «Die Plattenindustrie baut ihre Macht und ihr Geschäftsmodell auf der Möglichkeit auf, die Musikvorlieben der Leute kontrollieren zu können, und es ist für sie verdammt wichtig, darauf nicht den Zugriff zu verlieren. Es könnte ihre Existenz bedrohen, wenn sie nicht selbst kontrolliert, wie Musik verpackt und präsentiert wird, welche Sammelalben und Boxen vermarktet werden, wann unterschiedliche Singles einer Platte in unterschiedlichen Teilen der Welt herauskommen usw. Tatsächlich kann man sagen, dass die Musikindustrie genau das Geld braucht, das die gegenwärtigen Urhebergesetze ihr garantiert, um diese Kontrolle ausüben zu können.»7

Fleischer zeigt genau auf den Punkt, den die meisten BefürworterInnen des freien Filesharing vernachlässigen: Über P2P-Systeme werden nicht unabhängig entstandene Arbeiten wie Open Source Software verbreitet, sondern kommerziell produzierte Pop-Tunes, die Bestandteil der heutigen Kontrollkultur sind. In gegenwärtigen Gesellschaften bezeichnet das Wort «Kontrolle» die Möglichkeit, exklusive Eigentumsrechte vor effektiver Kritik zu schützen, und zwar durch eine sorgfältig orchestrierte Anpassung von Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Glauben an die Medien. Wir sprechen nicht länger von Ideologie im Sinne einer einzigen, totalisierenden Weltanschauung, und selbst Debords Beschreibung der Spektakelkultur war noch zu allgemein, zu ungenau. Was wir tatsächlich vorfinden, ist ein rivalisierendes Geflecht aus Umwerbungen, Zerstreuungen und Anreizen. Sie alle verstärken unterschiedliche Aspekte der grundlegenden sozialen Rollenmuster, die unsere Produktivität und unser Begehren formen. Maurizio Lazzarato beschreibt die Art und Weise, in der Unternehmen für ihre ArbeiterInnen und VerbraucherInnen «Welten» errichten und «ästhetische Kriege» führen, um ihr attraktives Zusammenspiel von Macht und Glaubwürdigkeit zu bewahren: „Es genügt, den Fernseher oder das Radio anzuschalten, durch eine Stadt zu spazieren, eine Wochen- oder Tageszeitung zu kaufen, um zu wissen, dass diese Welt durch Aussagegefüge konstituiert ist, durch Zeichenregime, deren Ausdruck sich Werbung nennt, und das Ausgedrückte (die Bedeutung): eine Aufforderung, ein Befehl, stellt an sich schon eine Bewertung, ein Urteil, einen Glauben über die Welt, über sich und die anderen dar. Das Ausgedrückte (die Bedeutung) ist keine ideologische Bewertung, sondern ein Anreiz (es gibt Zeichen), eine Aufforderung, eine Lebensform anzunehmen, d.h. sich auf eine Weise anzuziehen, einen Körper zu haben, zu essen, zu kommunizieren, zu wohnen, sich zu bewegen, ein Geschlecht zu haben, zu sprechen etc.»8 Wie die rhythmisch modulierten Erfahrungs- und Begehrenswelten durch den Konsum von Popmusik geschaffen werden, ist leicht zu erfassen – und relativ harmlos, wie manch eine/r jetzt sagen würde. Ein prägnanteres Beispiel ist die immense Werbeflut für pharmazeutische Produkte, die ein längeres und gesünderes Leben offerieren, Stimmungen verändern, Vitalität und sogar Ekstase versprechen. Aber Werbung ist nur ein Teil dieses Gleichgewichts der Kontrolle; zumal wenn man an die komplexen meinungsmachenden Operationen denkt, die notwendig sind, um den Glauben aufrecht zu erhalten, dass die astronomischen Preise für pharmazeutische Produkte gerechtfertigt seien – selbst wenn die ihnen vorgängigen wissenschaftlichen Entdeckungen meistens an öffentlichen Universitäten mit Hilfe öffentlicher Gelder gemacht wurden (wie es insbesondere in den Vereinigten Staaten der Fall ist). Das klassische Argument, das im Bedarfsfall immer wieder in den Medien reproduziert wird, lautet, dass insgesamt zwischen 500 und 800 Millionen US-$ aufgewendet werden müssen, um ein neues Medikament zu entwickeln, zu testen und herzustellen – Summen, die völlig außerhalb der Reichweite jeder öffentlichen Forschungseinrichtung liegen. Allerdings werden diese Zahlen von einer Lobby, der Pharmaceutical Research and Manufacturers of America, zur Verfügung gestellt, sowie von einem Forschungszentrum, das 65% seiner Gelder direkt von der Industrie erhält; die tatsächlichen Kosten belaufen sich vermutlich nur auf einen Bruchteil der behaupteten Summe. Als ein südafrikanisches Gericht Pharmahersteller dazu aufforderte, ihre Bücher offen zu legen und die Recherchekosten nachzuweisen, die die Notwendigkeit ihrer exklusiven Patentrechte auf AIDS-Medikamente rechtfertigen sollten, zogen neununddreißig ihre Klage gegen die Herstellung und den Vertrieb von generischen Präparaten zurück.9 Solche Fälle bringen unseren industriemanipulierten Glauben ins Wanken; gleichwohl bleibt es weltweit ein 400 Milliarden Dollar-Geschäft, das drittprofitabelste des Jahres 2003 (abgerutscht vom ersten Rang in den Jahren 2001 und 2002). Marcia Angell bemerkt dazu: «Das bestürzendste Faktum von 2002 ist, dass die zusammengerechneten Profite von zehn Pharmafirmen in der ‹Fortune 500›-Liste (35,9 Milliarden US-$) höher ausfielen als die aller übrigen 490 Geschäftszweige zusammen (33,7 Milliarden US-$).»10 Das gute Leben ist heutzutage nicht wirklich umsonst.

Welche Melodien sollten wir also, wenn es nach ‹Big Pharma› ginge, eigentlich hören? Eine, die verführt, eine, die betrügt, und eine dritte, die anspornt – wie das Jingle eines Jackpots. So jedenfalls wird im Zuge der neoliberalen Transformation des öffentlichen Sektors Forschung betrieben. In den Vereinigten Staaten (auf die Europharma u.a. aus diesem Grund neidvolle Blicke wirft11) können Forschungsergebnisse, die mit Hilfe öffentlicher Gelder erzielt wurden von der jeweiligen Universität patentiert und exklusiv von privaten Start-ups lizenziert werden, die dann wiederum ihre patentierten Technologien an Großkonzerne verkaufen; Erfinder erhalten einen Anteil der Lizenzeinnahmen und könnten insofern auch selbst diesem neuen Geschäft gegenüber nicht abgeneigt sein. 12 Daher mehren sich die Fälle, in denen Publikationen aus Gründen des Patentschutzes zurückgehalten werden.13 Die Privatisierungskultur kontrolliert also auf subtile Weise die Nutzbarkeit und die Anwendungsbereiche der Forschung – aber auch und gerade die Motivationen und Wünsche der Forscher selbst, die zur Profitjagd ermutigt werden, statt Wissen im Sinne eines Gemeinguts zu teilen.

Alle wissen: «Wer zahlt, gibt den Ton an». Aber da Bezahlung mittlerweile strukturell geworden ist und mit ihr ein breitgefächertes System aus Beschränkungen, Interessen, Strategien und Verführungen einhergeht, muss etwas gänzlich anderes etabliert werden, etwas, das völlig außerhalb jenes herrschenden Bezahlungs- (oder Wucher-)systems liegt, das den kognitiven Kapitalismus ausmacht 14, wenn die Kontrollrhythmen der sozialen Erfahrungen verändert werden sollen. Das Filesharing im Musikbereich ist diesbezüglich nicht zu unterschätzen – weniger im Hinblick auf Markenmelodien als beim freien Tausch außerhalb eines Marktes, der auf überwältigende Weise zugunsten der Besitzer von Exklusivrechten und zu Gunsten monopolistischer Konzerne strukturiert ist. Jede getauschte Datei ist ein Geschenk, das nicht nur einen Industriezweig (die Musikindustrie) herausfordert, sondern die gesamte Institution des Geistigen Eigentums. Wenn wir allerdings aus diesem Zuwachs an Commons in unserer unmittelbaren Alltagserfahrung tatsächlich etwas machen wollen, dann muss diese Veränderung mit einem weiter reichenden Programm einhergehen, als es die derzeitigen Grundregeln sozialer Interaktion zur Verfügung stellen. Dies hat zur Folge, dass man Produktions- und Distributionsbedingungen für alternative Formen des Journalismus, der wissenschaftlichen Informationen, aber auch der kulturellen Schöpfungen wie Musik, Literatur und bildende Künste erfinden und einrichten muss. Solche alternativen Formen können bei aller Unterschiedlichkeit und Kniffligkeit zu Kriegsmaschinen werden, die im ästhetischen Kampf um die Errichtung von Lebenswelten neue und überraschende Formen annehmen. Was wir heute auf der Linken brauchen, sind Möglichkeiten, das durch die ‹digitale Revolution› angestoßene Spiel auf der semiotischen Ebene in ein weitreichendes, vielschichtiges, vor allem aber kommunizierbares und durchführbares Programm für eine reale Demokratie zu verwandeln.

Angefangen werden müsste mit einer Diskussion über die Formen von Praktiken, Gefechten und Zielen, mit denen eine solche Transformation erreicht werden soll. Mit anderen Worten: Es ist notwendig, die sowohl semiotischen als auch materiellen Bedingungen des alternativen Informationsaustauschs in Angriff zu nehmen – und das heißt letztlich diejenigen Mittel, mit denen man die derzeitigen Verhältnisse zwischen Markt, Staat und dem Bereich des Öffentlichen oder der Gemeinschaftsgüter verändern kann. Ohne eine solche Diskussion mit dem Ziel, ein Programm für einen substantiellen sozialen Wandel zu entwickeln, wird das, was gemeinhin ‹die Linke› genannt wird, zunehmend schwächer werden. Gleichzeitig würde die Privatisierungskultur die weltweiten Spannungen vermehren, indem sie die fundamentalen Ungleichheiten noch weiter verstärkt. Also sollten wir genau hier anfangen. Wenn wir mit dem Versprechen auf freien Informationsaustausch beginnen, könnte man drei miteinander verbundene Vorschläge entwickeln:

1. Das Schaffen von Commons im Bereich der Kultur und Information, deren Inhalte frei verfügbar sind und die vor Privatisierung geschützt werden, indem Formate wie die General Public License für Software (Copyleft), die Creative Commons license for artistic and literary works und Open-Access-Zeitschriften in der Wissenschaft genutzt werden. Diese Kultur- und Informations- Commons würden genau den WIPO/WTO Verträgen über geistiges Eigentum zuwiderlaufen und würden eine deutliche Alternative zum Paradigma des kognitiven Kapitalismus darstellen, und zwar dadurch, dass menschliches Wissen und menschlicher Ausdruck als etwas wesentlich Gemeinschaftliches gedacht werden, das miteinander teilbar ist und als virtuelle Ressource künftigen Schöpfungen zur Verfügung steht – auf der Ebene der Zeichen wie der Körper, materiell und immateriell.

2. Die Transformation der vorhandenen, öffentlich finanzierten kulturellen und wissenschaftlichen Infrastruktur (in der die Interessen der Eliten die Formen des Massenkonsums bestimmen) hin zu einem Egalitarismus, indem bei den Produktions- und Distributionsmitteln des Journalismus, der Kultur und der Wissenschaft, sowie dem für diese Produktion/Distribution unerlässlichen Gefüge aus Ressourcen (Archive, Bibliotheken, Ateliers und Proberäume, Labore, Universitätsseminare etc.) neue Zugangsformate und -protokolle erfunden werden. Diese Transformation – die allein es uns erlauben würde, die Beherrschung der öffentlichen Meinungsbildung durch die marktbestimmten televisuellen Medien zu durchbrechen – würde dazu dienen, eine durchdachte demokratische Debatte (Austausch von Ideen), aber auch autonome künstlerische Produktionen und eine nachdrückliche Politik (soziale Bewegungen) anzuregen.

3. Die Wiedererfindung früherer Programme von Kollektivversicherungen, um die Gesundheit und das Wohlergehen aller Gesellschaftsmitglieder zu schützen – allerdings in neuer und diversifizierenderer Form, die sowohl die Forderung nach Gleichheit als auch das Recht auf Andersartigkeit berücksichtigt: garantiertes Grundeinkommen, Verfügbarmachung von kostengünstigem Wohnraum und elementaren Dienstleistungen, Gesundheitsversicherung und hochwertige Ausbildung für alle. Die Herausforderung dabei ist, keinesfalls den bürokratischen Staat mit seinen peinlichen Prozeduren der Kategorisierung und Homogenisierung wiederzubeleben, sondern Formen der Aneignung und sogar des Eigentums zu erfinden, deren Auswirkungen befreiend und nicht isolierend, sozialisierend und nicht begrenzt individualisierend sind.

Zusammen skizzieren diese Vorschläge Rahmenbedingungen für eine weitreichende Veränderung. Jedoch ist jeder Einzelne bereits unabdingbar für die direkte Beteiligung von BürgerInnen in einer egalitären Demokratie. Denn ohne Zugang zu den Produktions- und Distributionsmitteln kann man nicht zum Reichtum der globalen Commons und zu den vorhandenen kulturellen und informationsbezogenen Ressourcen beitragen; indes erfordert diese Form von Engagement Zeit – Zeit, die aus der unerbittlichen Notwendigkeit, sich das Geld für die grundlegenden Bedürfnisse der sozialen Reproduktion beschaffen zu müssen, ausgenommen ist. Die offensichtliche Gewagtheit solcher Ideen wie Gemeinwissen oder garantiertes Grundeinkommen – ihr offensichtlicher Mangel an ‹Realismus› – hebt nur die schreiende Abwesenheit des Politischen in heutigen Debatten hervor. Es steht mehr auf dem Spiel als ein eingängiger Song oder eine Pille zum Träumen. Nur das Bestreben, die Marktregeln und letztlich den existierenden Status zu verändern, kann die oppositionelle Kraft auf den Plan rufen, die am Anfang des 21. Jahrhunderts nötig ist. Immerhin zeigen die oben gemachten, teils von der «digitalen Revolution» inspirierten Vorschläge bereits laufende pragmatische Veränderungen an; sie hängen in punkto Realisierbarkeit nicht von Wahlsiegen ab. Eher als ein vollständig ausgearbeitetes Programm zu sein, weisen die Vorschläge einen Ausweg aus der gegenwärtigen Einbahnstraße. Semiotik mit materiellen Konsequenzen. Eine gänzliche Neuvertonung des Informationsaustauschs. ‹‹‹

Dieser Text ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution- NoDerivs-NonCommercial License. Für eine Ausfertigung dieser Lizenz vgl.: http://creativecommons. org/licenses/bynd- nc/1.0/ oder postalisch anfordern bei Creative Commons, 559 Nathan Abbott Way, Stanford, California 94305, USA.


1 ‹Berliner Deklaration für gemeinschaftlich verwaltete Online-Rechte: Kompensation ohne Kontrolle›; Volltext nur engl.: ›Berlin Declaration on Collectively Managed Online Rights: Compensation Without Control› unter: http://wizards-of-os.org/index.php? id=1699

2 Für eine gute Beschreibung der BOAI und Links zu ähnlichen Initiativen vgl. den FAQ: http://www.earlham.edu/~peters/fos/boaifaq.htm#impactaffordable

3 ‹Information commons› – ein Begriff , der stark von der Praxis der Open Source Software beeinflusst ist, wie sie unter der General Public License distribuiert wird; er wird kurz und bündig von Yochai Benchler in seinem Artikel ‹The Political Economy of Commons› definiert, in: Upgrade, Juni 2003, Bd. IV, Nr. 3; unter: www.upgradecepis.org/issues/2003/3/up4-3Benkler.pdf ›Commons› entspricht dem veralteten bzw. wieder eingeführten Begriff der Allmende, vgl. dazu: Volker Grassmuck, Die Wissens- Allmende, unter: http://mikro.org/Events/OS/in terface5/ wissens-almende.html#_1_2 [Anm. d.Ü.]

4 Vgl. Libération, 8. Juli 2004, unter: www.liberation.fr/page.php?Article=222215 5 Text unter: www.wto.org/english/thewto_e/ minist _e/min01_e/mindecl_trips_e.htm

6 Vgl. den Beitrag zum Health Global Access Project unter: www.healthgap.org/press_releases/03/

7 «‹Content Flatrate› and the Social Democracy of the Digital Commons», geposted auf nettime am 13.7.04: http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/net time-l-0407/msg00020.html

8 Maurizio Lazzarato, ‹Kampf, Ereignis, Medien›, unter: www.republicart.net/disc/representations/lazzarato01_de.pdf (modifizierte Übersetzung); vgl. auch ders., ‹Créer des mondes›, in: Multitudes Nr. 15 (Winter 2004), unter: http://multitudes.samizdat. net/article.php3?id_article=1285

9 Vgl. ‹Yale University Shares Profits From AIDS Drugs›, in: Le Monde diplomatique Februar 2002, engl. Fassung unter: www.mindfully.org/Industry/Yale-University-AIDS-ProfitsFeb02.htm

10 ‹The Truth About the Drug Companies›, in: New York Review of Books, Bd. 51, Nr. 12 (Juli 2004), unter: www.nybooks.com/articles/17244

11 Der andere Grund ist die extrem hohe Profitrate des deregulierten US-amerikanischen Marktes. Zu dem Neid von Europharma vgl. die Bezugnahmen auf die USA in dem Jahresbericht der europäischen Pharmalobby EFPIA von 2003 unter: www.efpia.org/6_publ/Infigures2003.pdf

12 Das maßgebliche Gesetz ist bekannt als Bayh-Dole Act, ein Gesetz, das 1980 just am Beginn der neoliberalen Wende erlassen wurde; Text unter: www.cctec.cornell.edu/bayh-dole.html

13 Quelle dieser Behauptungen ist: Eyal Press und Jennifer Washburn, ‹The Kept University›, in: The Atlantic (März 2000), unter: www.theatlantic.com/cgi-bin/o/issues/2000/03/press.htm

14 Viele Texte in der französischen Zeitschrift Multitudes sind den Widersprüchen des ‹kognitiven Kapitalismus› gewidmet, der einen Großteil der Mehrwertschöpfung auf die Ebene der Zeichen verlegt – aber, um dies tun zu können, sich auf die intellektuelle und affektive Kooperation von Personen verlässt, die ihre eigenen Wertmaßstäbe errichten und außerhalb eines klar definierten Arbeitsbereichs tätig sind. Vgl. vor allem Multitudes, Nr. 2 (Mai 2000), oder die Anthologie: Vers un capitalisme cognitif (Paris: L’Harmattan, 2001).


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